Bibelinterpretation
„Das Himmelreich gleicht einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie. ( Matthäus 13, 45-46)
Interessant, dass Jesus ausgerechnet einen Kaufmann wählt, der auf der Suche nach kostbaren Perlen war. Hier kann man nur spekulieren, warum sich Jesus in dem Gleichnis diesen Menschentyp erwählte. Nun vielleicht deshalb, weil ein Kaufmann ein Experte ist, ein Profi auf seinem Gebiet, der sich nicht einen Glasperle für eine echte Perle andrehen ließe. Und es heißt „er war auf der Suche“: „Wie der Hirsch nach der Wasserquelle, so verlangt meine Seele nach dir, o Gott.“ (Psalm 42) Letzteres ist sehr wichtig. Vielleicht war unser Kaufmann nicht direkt auf der Suche nach Gott aber sicherlich nach dem, was man als das Schöne, Wahre und Gute bezeichnet. Auch das sind schöne Perlen im Leben eines Menschen. Das heißt, man muss schon nach hohen Idealen streben, um das Höchste finden zu können, sonst könnte es passieren, dass man sozusagen darüber stolpert, aber dessen Wert nicht erkennt und es für belanglos erachtet. Ich glaube, das passiert gar nicht so selten, denn es heißt, jeder Mensch, ob gläubig oder nicht, mache mindestens einmal im Leben eine Erfahrung des Göttlichen, aber wie viele erkennen es und ändern ihr Leben deswegen?
Also unser Kaufmann war bereits auf der Suche nach etwas sehr Wertvollem. Da findet er, möglicherweise für ihn selbst unerwartet, eine Perle, die so kostbar ist aber auch so teuer zu sein scheint, dass er alles was er besitzt verkaufen muss, um sie erwerben zu können. Gehen wir auf den biblischen Kontext zurück, so fällt als erstes vielleicht der Bezug zum reichen, gesetzestreuen jüdischen Jüngling auf, der Jesus nachfolgen wollte, Jesus aber von ihm forderte, er müsse vorher all seinen Reichtum an die Armen verteilen. Hier wie dort ist also die Botschaft, dass diese kostbare Perle nur „erwerben“ kann, wer bereit ist alles andere in der Welt, wenn nicht vollständig loszulassen, so doch im Vergleich zu dem großen Schatz als minderwertig zu betrachten. Was genau ist nun unter dieser Metapher der „kostbaren Perle“ im Kern zu verstehen?
Es ist tatsächlich der kostbarste Schatz, den ein Mensch hat. Hat? Heißt es nicht in dem Beispiel klar, er musste sie erst erwerben? Ja, wir haben diesen Schatz in uns, jeder von uns und müssen ihn gleichzeitig doch erst erwerben. Wie geht das zu, ist das nicht ein Widerspruch? Nun am Anfang des Johannesevangeliums heißt es beispielsweise: „…Und das Licht scheint in die Finsternis, aber die Finsternis hat nicht ergriffen“ ( Johannes, 1).Es kann also, geistig verstanden, etwas Großes real da sein, aber wir erkennen und begreifen es nicht. So ist es auch mit der kostbaren Perle in unserem Herzen. Die alten Inder nannten es auch den „Lotus des Herzens“. Dieser Lotus oder diese kostbare Perle ist eine geistige Realität und in ihr steckt nicht nur das Geheimnis des Lebens, sondern das Leben selbst. Und diese Perle nun kann gefühlt werden, ja muss erfahren werden, wenn wir das gesamte Potential und den Sinn des Menschseins erfassen wollen.
Im Alten Testament gibt es eine mysteriöse Stelle, wo es heißt:
„…..Und nach dem Erdbeben ( kam) ein Feuer, der HERR aber war nicht in dem Feuer. Und nach dem Feuer der Ton eines leisen Wehens (5. Mo 4,11, Elberfelder). Darin fand Elias schließlich Gott oder wiederum die kostbare Perle, nachdem er es im Sturm, im Erdbeben und im Feuer nicht gefunden hatte. Also Gott oder der Heilige Geist ist weniger in dem Großen, Prachtvollen, Mächtigen zu finden, als in dem kleinen, unscheinbaren, sanften und demütigen. Die alten Chinesen nannten es Tao und beschrieben seine allumfassenden Eigenschaften und Jesus sagte von sich selbst: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ ( Matth. 11,29 )
Wir sehen also, dass etwas dran ist an dem Argument, die Bibel lege sich selbst aus, denn es gibt in der gesamten Schrift überall Bezüge zu dem gleichen Thema, wenn man sie nur recht zu deuten versteht und vom Heiligen Geist inspiriert wird.
So finden wir auch in der berühmten Begegnung Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen Hinweise auf unser Thema. Da sagt Jesus wohlgemerkt zu einer Nicht-Jüdin: “Es kommt aber die Stunde und ist jetzt schon, da die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden; denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter“ (Joh. 4,23).
Damit wäre auch das Argument, das so mancher einwerfen könnte, warum mit der Perle nicht einfach Jesus oder die Bibel gemeint sei, entkräftet, denn in diesem Vers belehrt Jesus die Frau, dass es nicht ausreiche einfach ins Unbestimmte hinein zu beten, sondern im „Geist und in der Wahrheit“ und das heißt nichts anderes als in der erhabenen göttlichen Gegenwart im Herzen.
Also mit der “kostbaren Perle“ ist die lebendige Erfahrung Gottes oder des Göttlichen gemeint, so wie Gott ist: absolut, rein, fein, süß und heilig und mit nichts Irdischem oder Kosmischen vergleichbar.
Und die Voraussetzung dafür, dies nicht nur zufällig oder sporadisch sondern dauerhaft zu erfahren, ja sich mit Denken, Sehnen, Fühlen und Vorstellen dieser Erfahrung als der wahrhaftigsten Manifestation Gottes unterzuordnen, wäre gleichnishaft: „Er verkaufte alles, was er hatte und kaufte die Perle.“
Urheber ist Maximilian Yehudi Schäfer